Veranstaltung

Rassistische und sexistische Hate Speech als Exklusionsmechanismen vom digitalen öffentlichen Raum

Ulrike Lembke (Hagen)

19:00-21:00
Berliner Seminar Recht im Kontext
Humboldt-Universität zu Berlin
Juristische Fakultät, Raum E44/46
Bebelplatz 2, 10099 Berlin


Mit der Bedeutungszunahme digitaler öffentlicher Räume rückt auch die Problematik von Hassrede in diesen Öffentlichkeiten mehr ins Bewusstsein. Nicht zufällig sind geflüchtete Menschen und Personen, die sich für ihre Belange einsetzen, religiöse Minderheiten, Frauen und LGBTI*-Personen besonders häufig Ziel. Hassrede kann erhebliche gesundheitliche, soziale und ökonomische Folgen für Betroffene haben, die sich auch häufig für längere Zeit oder dauerhaft aus digitalen Öffentlichkeiten zurückziehen, was Grundfragen von Meinungsfreiheit und Demokratie berührt.

Hassrede ist weitgehend eine Form der (rassistischen und geschlechtsbezogenen) Diskriminierung durch gewaltsamen Ausschluss von Teilhabe an Öffentlichkeiten. Sie kann in spontanen Cyber Mobs eskalieren, aber nicht selten wird sie auch als gezielte Strategie eingesetzt zur Eliminierung von Meinungen (bspw. Feminismus), Unterbindung von Handlungen (etwa Unterstützung von Geflüchteten) und Vertreibung missliebiger Personen aus der digitalen Öffentlichkeit (bspw. Wissenschaftler*innen im Bereich Gender Studies oder Sexualpädagogik; Antirassismus-Initiativen). Rassistische und sexistische Strukturen verstärken sich. So werden Männer, die Geflüchtete unterstützen, mit dem Tod durch Erhängen bedroht, Frauen dagegen mit Vergewaltigung, und muslimischen Frauen, die keinen Opferstatus akzeptieren wollen, schlägt besonderer Hass entgegen.

Allerdings gibt es in Deutschland wenig Eifer, Erscheinungsformen, Ausmaß und Ursachen rassistischer und sexistischer Hassrede aufzuklären. Sie wird als ein Ergebnis der Anonymität im Internet gesehen, gegen das Gesellschaft, Staat und Recht machtlos sind. Doch bevor hier ein weiteres Kapitel von den digitalen als rechtsfreien Räumen aufgeschlagen wird, soll kritisch hinterfragt werden, ob nicht rechtliche Diskurse selbst auch Teil des Problems sind. Schon die konzeptionelle Rahmung misslingt grundlegend: Rechtliche Maßnahmen gegen Hassrede werden schlicht als Konfrontation von Meinungsfreiheit und Persönlichkeitsrecht verhandelt. Damit fehlen wesentliche Dimensionen wie insbesondere der Schutz vor Diskriminierung, die Teilhabe am öffentlichen Raum und die Kommerzialisierung rassistischer und geschlechtsbezogener Gewalt. Zum anderen ist zwar die Bedeutung der Meinungsfreiheit hier richtig erkannt, diese jedoch meist falsch lokalisiert, spielt sie doch vielmehr auf Seiten der Betroffenen von digitaler Gewalt eine wesentliche Rolle – Hassrede stellt auch eine erhebliche Demokratiegefährdung dar.

Die Fehler in der konzeptionellen Rahmung setzen sich fort. Digitale Gewalt hat keinen richtigen Ort im Normenbestand, sie wird nicht erkannt oder verharmlost und entrechtlicht bzw. privatisiert. Wahrheit versus Fake News wird als – in Diskriminierungsfällen weitgehend dysfunktionales – Analyseraster genutzt. Das Verständnis von Meinungsfreiheit zu Gunsten von Hassrede nimmt US-amerikanische Züge an und der von Global Players bereitgestellte digitale öffentliche Raum wird zum Inbegriff nicht-staatlicher Öffentlichkeiten. Hier sind alle Menschen wieder Freie und Gleiche, als hätte es nie einen Gedanken asymmetrischen Antidiskriminierungsrechts in deutschen Diskursen gegeben. Und falls Betroffene doch nach Staat und Recht verlangen, wird die Rechtsmobilisierung durch den Rückzug des staatlichen Gewaltmonopols (Privatklage) und die mit erheblichen Prozessrisiken verbundene Individualisierung zivilrechtlicher Gegenmaßnahmen wesentlich erschwert.

Sind digitale Öffentlichkeiten also naturgemäß rechtsfreie Räume oder zieht sich der Staat aus ihnen schon prophylaktisch zurück? Ist die Gewährleistung der gleichberechtigten Teilhabe an (digitalen) Öffentlichkeiten nicht zentrale Staatsaufgabe? Und welche Rolle spielt eigentlich der Umstand, dass Frauenhass und die Verachtung von Fremden längst anerkannte politische Haltungen in bürgerlichen Milieus und praktizierte Politikformen bürgerlicher Parteien sind?

Ulrike Lembke ist Professorin für rechtliche Geschlechterstudien an der FernUniversität in Hagen, zuvor war sie Juniorprofessorin für Öffentliches Recht und Legal Gender Studies an der Universität Hamburg. Seit 2011 ist sie Expertin im European Equality Law Network, welches die Europäische Kommission berät. In ihrer Dissertation „Normkompatibilisierung durch Interpretation?“, betreut von Prof. Dr. Claus Dieter Classen an der Universität Greifswald, dekonstruierte sie die allseits beliebte verfassungskonforme Auslegung. Ihre Forschungen beziehen sich derzeit auf Antidiskriminierungsrecht, transdisziplinäre Geschlechterstudien, Gewalt im Geschlechterverhältnis, Intimität/Öffentlichkeit, reproduktive Rechte, öffentlichen Raum als Staatsaufgabe, diskursanalytische Rechtssoziologie, Verfassungs- und Versammlungsrecht sowie die Implementation menschenrechtlicher Diskurse und Konzepte. Sie ist Mitherausgeberin des Studienbuches „Feministische Rechtswissenschaft“ sowie Herausgeberin der Sammelbände „Menschenrechte und Geschlecht“ und „Regulierungen des Intimen“. Vorliegend interessant dürfte auch ihre jüngste Veröffentlichung „Kollektive Rechtsmobilisierung gegen digitale Gewalt“ sein (https://www.gwi-boell.de/de/2018/01/09/kollektive-rechtsmobilisierung-gegen-digitale-gewalt).