Veranstaltung

„Als Geschenk das Leben"? Rechtskonzepte vom menschlichen Körper als Nicht-Ware, historisch gesehen

Valentin Groebner (Luzern)

19:00-21:00
Berliner Seminar Recht im Kontext
Wissenschaftskolleg zu Berlin, Villa Jaffé
Wallotstraße 10, 14193 Berlin


Audioaufnahme der Veranstaltung


Karl Marx hat das Problem ironisch, aber ziemlich genau benannt. Der menschliche Körper, schrieb er, sei natürlich eine Ware; aber eine „mit metaphysischen Mucken“. Um diese Mucken – also Schwierigkeiten, Hindernisse, Paradoxa – geht es in diesem Vortrag.
Denn im Motiv des verkauften Körpers stecken starke, aber widersprüchliche Geschichten: Geschichtsgespenster. In ihnen erscheint der verkaufte Körper als ein boundary object: Er erzeugt eine Spannung zwischen einem als extrem bedrohlich gezeichneten „Außen“, in dem vereinzelte Körper unklarer Herkunft zirkulieren, und einem absolut zu schützendem kollektivem Gesamtkörper, dessen möglichen Teil er bildet. Dem entsprechen zwei Darstellungsformen. Im ersten Modus wird die materielle Stofflichkeit des einzelnen Körpers als Teil, nicht als Ganzes betont; er wird anonymisiert, in “Fleisch“ verwandelt und mit stark negativ dargestelltem ökonomischem Kalkül verknüpft. Im zweiten Modus wird die individuelle, namentlich benannte Herkunft des Körpers oder Körperteils hervorgehoben. Kommerzielle Aspekte werden dabei zugunsten von Narrativen der Zugehörigkeit, Integration und Reziprozität zurückgestellt: Dann ist von “Leben“ an sich und vom „Geschenk“ die Rede.
Aber wieso stecken dann im 21. Jahrhundert soviel mittelalterliche Schreckensgeschichten in den Titelgeschichten des „Spiegel„ und in den Plakatkampagnen für Organspenden?

Valentin Groebner, geboren 1962 in Wien, ist seit März 2004 Professor für Geschichte des Mittelalters und der Renaissance an der Universität Luzern. Er hat in Wien, Marburg und Hamburg studiert, wurde 1991 in Bielefeld promoviert und 1998 in Basel habilitiert. 1996/97 war er Fellow am Wissenschaftskolleg zu Berlin und hat an verschiedenen Universitäten in der Schweiz und in den USA gelehrt.
Valentin Groebner veröffentlichte zur Kultur- und Sozialgeschichte des späten Mittelalters und der Renaissance, zu Geschenken und Korruption, Gewaltbildern, Identifikation, Mittelalterinszenierungen in der Moderne und zuletzt zur Wissenschaftssprache. Das 2012 abgeschlossene Forschungsprojekt „Menschen als Ware“ hat sich mit der Vermarktung und Käuflichkeit menschlicher Körper befasst; ein neues, im Mai 20134 gestartetes Projekt beschäftigt sich mit touristischer Geschichtsnutzung als Postproduktion von Vergangenheit.