Berliner Seminar »Recht im Kontext« 2022/23

Nachhaltigkeit

Der Gedanke der Nachhaltigkeit hat heute größere Relevanz als je zuvor. Die natürlichen Ressourcen der Erde setzen dem menschlichen Handeln Grenzen. Insbesondere ist die Kapazität der Atmosphäre und Ozeane als natürliche CO2-Senken begrenzt. Der durch Überbeanspruchung dieser Ressourcen ausgelöste Klimawandel stellt den kohlenstoffbasierten Modus Vivendi der Menschheit infrage. Völkerrechtlich verpflichtet das Pariser Übereinkommen die Staaten zur Reduktion ihrer CO2-Emissionen, die EU verfolgt das Ziel eines „Green Deal“ und auf nationaler Ebene hat Klimaschutz erklärtermaßen Priorität. Gleichwohl gelingt es der Staatengemeinschaft bisher nicht, die CO2-Emissionen zu senken. Das Fehlen einer Instanz, die auf globaler Ebene Regeln setzen und durchsetzen könnte, macht sich schmerzhaft bemerkbar. In dieser Situation stellt sich die Frage nach den verbleibenden rechtlichen Handlungsoptionen. Der Blick richtet sich vor allem auf die Nationalstaaten, zunehmend auch auf Unternehmen, schließlich auch auf jeden Einzelnen. Wer ist zu nachhaltigem Handeln verpflichtet? Wie kann das Recht dazu beitragen, den künftigen Generationen ein Leben zu ermöglichen, das lebenswert ist? Und welche Instrumente stehen zur Verfügung: privatrechtliche Regelungen, das Konzept einer Treuhandschaft für die Erde oder öffentlich-rechtliche Vorgaben? Die Vorträge des Berliner Seminars "Recht im Kontext" nähern sich diesen Fragen aus multidisziplinärer Perspektive und im internationalen Dialog.

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Das Recht neu verorten

Vielfältiger und unübersichtlicher wird das Recht. Längst ist das kompetitive, aber auch komplementäre Neben- und Miteinander verschiedener Rechtssysteme und normativer Ordnungen Teil des sozialen Alltags geworden. Rechtspluralismus ist, wie der in Harvard lehrende Völkerrechtler David Kennedy schreibt, „eine alltägliche Angelegenheit, Risiko und Möglichkeit zugleich“. Und das nicht nur für Wirtschaftsanwälte, Investmentbanker, Angehörige humanitärer Organisationen und Militärs, die in den Untiefen einer zunehmend disaggregierten und fragmentierten Weltrechtsordnung nach Orientierung suchen. Wo immer Recht soziale Phänomene (re-)konstruiert und von diesen seinerseits beeinflusst wird, ist mit der australischen Rechtswissenschaftlerin Fleur Johns daran zu erinnern, dass wir „jedes Mal, wenn wir Recht generieren, um die Welt zu erfassen, auch Welt generieren, die dem Recht entspricht“. Die Grenzen des Rechts und seiner Wissenschaft entgleiten hergebrachten Ordnungsmustern, und auch intradisziplinäre Differenzierungen wie etwa die Dichotomie von Öffentlichem und Privatem bedürfen kritischer Reflexion.

Die Frage nach dem Eigensinn des Rechts in einer pluralen Rechtswirklichkeit ist, aus der Binnenperspektive rechtswissenschaftlicher Forschung und Lehre, eine jener „Zukunftsaufgaben der Wissenschaft, die sich nur mit Kontextualisierung lösen lassen und damit auf die Grundlagenfächer verweisen“ (Dieter Grimm). Notwendig ist neben einer verstärkten Orientierung an der Rechtswirklichkeit das Gespräch mit den anderen am Recht interessierten Geistes-, Sozial- und Kulturwissenschaften.

Das Forschungsnetzwerk „Recht im Kontext“ hat es sich seit Anfang 2010 zur Aufgabe gemacht, das Recht neu im Kontext seiner Nachbardisziplinen zu verorten und es mit den übrigen Geistes-, Sozial- und Kulturwissenschaften sowie mit der juristischen und politischen Praxis ins Gespräch zu bringen. Getragen wird der Verbund von einem Sprecherkreis, deren Mitglieder jeweils ein Rechtsgebiet vertreten und die ein gemeinsames Interesse an juristischem Kontextwissen verbindet. Gegründet wurde "Recht im Kontext" als interdisziplinärer Forschungsverbund am Wissenschaftskolleg zu Berlin. Seit Anfang 2018 ist das Projekt an der Juristischen Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin verortet.

Recht im Kontext eröffnet Gesprächs- und Arbeitsräume für ganz verschiedene Zugänge zu Fragen des Rechts: von der rechtswissenschaftlichen Genderforschung über den Rechtsvergleich in verschiedenen Rechtsgebieten, über Rechtshistorische Forschung, Law & Literature und kritische Annäherungen an das internationale Recht bis hin zu den Verwaltungswissenschaften, zur Transitional Justice, zum Recht der Entwicklungszusammenarbeit und zu klassischen Fragen der Rechtsphilosophie. Von zentraler Bedeutung ist die Entwicklung neuer Gesprächs- und Arbeitsformen interdisziplinärer Rechtsforschung.

Als lebendige soziale Infrastruktur disziplinverbindender Rechtsforschung soll das Forschungsnetzwerk „Recht im Kontext“ neue Impulse in die Geistes-, Sozial- und Kulturwissenschaften tragen, die langfristig auch in die juristische Ausbildung und Praxis hineinwirken und so das Recht als Gegenstand und Wissenschaft bereichern.

Im Jahr 2017 wurde Recht im Kontext von einer international besetzten Kommission evaluiert. Eine Zusammenfassung des Berichts finden Sie hier.